Willkommen, Gast
Benutzername: Passwort: Angemeldet bleiben:
  • Seite:
  • 1

THEMA: Theaterkritik, Thema: „Drei Hasenfüsse auf dem Flur“

Theaterkritik, Thema: „Drei Hasenfüsse auf dem Flur“ 12 Jahre 9 Monate her #1

  • admin
  • admins Avatar Autor
  • Offline
  • Administrator
  • Administrator
  • Beiträge: 3273
  • Dank erhalten: 0
Kürzlich bat die Münchener Richterschaft wieder einmal zu einer jener beliebten Vorstellungen des Staatstheaters, die gemeinhin „Strafprozess“ heißen. Und diesmal stand ein Stoff auf dem Spielplan, der sogar den Rahmen blutrünstiger Shakespearescher Dramen und hoffnungsverlorener griechischer Tragödien zu sprengen versprach. Das Stück handelte nämlich von der Verfolgung und Bestrafung des zwischenzeitlich medienbekannten Bankenkritikers und Erstem Vorsitzenden der Schutzgemeinschaft Sparkassengeschädigte Aschaffenburg e.V., Rüdiger Scheiffele, seines vermeintlichen Komplizen Günter Blum und deren sage und schreibe 178 Verbrechen, die diese an nur zwei Tagen begangen haben sollen, manche davon im Abstand von nur drei Minuten! Mit schrecklichen Folgen für ihre Opfer, die etwas zwielichtigen Bankvorstände Anton Lautenbacher, Robert Oberleitner und deren Aufsichtsratsvorsitzenden Leonhard Roßmann, denn diese wagen sich, wie zu hören war, hinfort nicht mehr zu ihren üblichen Freizeitvergnügen, nehmen aus Vorsicht vor weiteren Anschlägen täglich neu ausgeklügelte Wege zum Arbeitsplatz und sind darüber hinaus auch weiterhin massiv traumatisiert. Sagen sie wenigstens. Entsprechend wurden sie vor, während und nach der Verhandlung bewacht von sieben Polizistinnen und Polizisten in voller Montur und Bewaffnung: Elektroschocker, Pistolen, Knüppeln, Handschellen, nur um das aufzuzählen, was der Staatsgewalt so um die Hüften baumelte. Entsprechend waren die Besucher (sie füllten den Zuschauerraum bis auf den letzten Stuhl, abgesehen von denen, die die Polizisten beanspruchten, denn diese hatten sich in Erfüllung ihres Sicherheitsauftrags auch unter das Publikum gemischt) auf das klassische Gefühlrepertoire eingerichtet, das bei derartigen Mörderdramen so üblich ist: Trotzige Verbissenheit der Delinquenten, später Reue und tiefe Zerknirschung, vielleicht auch Winseln; donnernde Empörung der Staatsgewalt, wehende Roben, zugleich schmerzgepeinigte wie hasserfüllte Opfer, strengdominante aber doch mütterliche Richterschaft, aber was war?Um es vorweg zu nehmen, es war ein Stück mit grottenschlechten Texten und gerade einmal mittelmäßiger Besetzung und einem Schluss, man muss sagen: unverständlich. Kein Gefühl, kein Esprit, kein Aufruhr - nur Monotonie. Wovon handelte das Stück? Nachdem die Schutzgemeinschaft mittels Fernsehen und Flugblättern öffentlich gemacht hatte, auf welch zwielichtige Weise die „beklagenswerten“ Opfer (Vorstand und Aufsichtsrat der VR-Bank München Land eG) mit einem ihrer Kunden, dem mitangeklagten Günter Blum umgesprungen sind, erhielten diese 178 Telefaxe und e-Mails des Inhalts, wie verabscheuenswürdig die Absender das Verhalten der Banker einschätzten. Diese fühlten sich darob derart bedroht, dass sie in der geschilderten Art ihre Lebensgewohnheiten änderten. Die Absender blieben anonym und waren selbst dann nicht zu ermitteln, nachdem die Polizei in einer rasanten Aktion ein Telefaxgerät beschlagnahmt hatte, das sich in den Vereinsräumen der Schutzgemeinschaft im Hause des mutmaßlichen Mittäters Günter Blum in Kirchheim bei München befand. Also: Nix war bewiesen. Und wie kamen die beiden Delinquenten nun auf die Anklagebank? Indem die Staatsanwaltschaft (so der der irrwitzige Plot des Stückes) annahm, dass nur sie die Versender der bedrohlichen Schriftstücke (übrigens auch diese von eher zweifelhafter literarischer Qualität und allesamt in den Gästebüchern der Schutzgemeinschaft im Internet nachzulesen) hätten sein können. Dass die benannte Fernsehsendung etwa eine Million Zuschauer hatte, von denen es nur eine Quote von nicht einmal 0,2 Promille Empörter brauchte, um die Faxflut auszulösen, die die Banker in ihrer Hasenherzigkeit als Tsunami deuteten - daran hatte der Autor des Stückes offenbar nicht denken wollen.Da lag ein Freispruch in der Luft, wäre dem Verfasser nicht doch noch etwas eingefallen, ein Deus ex Machina also, stets ein Symptom für einen eher dürftigen Spannungsbogen. Um die Staatsgewalt nicht gänzlich der Lächerlichkeit anheimzugeben, musste er eine Verfahrenseinstellung plausibel machen. Und damit sich die Delinquenten dazu auch bereit erklärten, brauchte es ein Druckmittel.Das bestand in der richterlichen Andeutung, den Hauptdelinquenten der (wegen einer Wertberichtigung mittels eines Baggers an seinem seinerzeit versteigerten Wohnhaus) noch unter Bewährung stand, auf jeden Fall zu verurteilen, was die fast überstandene Bewährungsfrist erneut hätte aufleben lassen. So akzeptierte dieser notgedrungen die als Alternative in das Richterhinterzimmer gestellten einhundert Stunden gemeinnützige Arbeitsauflage, obwohl er selbst kein einziges dieser Faxschreiben versandt hatte. Somit hielt er als Erster Vorsitzender der Schutzgemeinschaft für die schreibaktiven Vereinsmitglieder und Geschädigten in und um München seinen Kopf hin - das immerhin ein wahrhaft heroischer Akt in dieser Staats(Bank)tragödie. Dem zweiten Angeklagten, auch er ohne beweisbare Tatbeteiligung, wurde eine moderate Geldbuße in Höhe von 250 Euro auferlegt, und so schloss das Stück denn auch zur Zufriedenheit des Gerichts und zum Verdruss der Zuschauer in gähnender Langeweile mit der Einstellung des Verfahrens. Wie konnte so etwas geschehen? Wie konnte ein Bühnenautor den Darsteller, der den Staatsanwalt verkörperte, mit einem Monolog quälen, der aus vielen Seiten engbeschriebenen Papiers bestand und dessen Vortrag geschlagene 78 Minuten dauerte? Wer Hamlets reißendes „Sein oder Nichtsein“ kennt wird ermessen, wie sehr alle im Saal, sei‘s auf der Bühne oder im Zuschauerraum, sich ob eines Textes, bestehend aus der sich immer wiederholenden Bekanntgabe einer Empfängerfaxnummer, eines Datums und der Uhrzeit der verschickten Schriftstücke, grausen mussten. „Und ewig grüßt das Murmeltier“ im Gerichtssaal, Kafka. Wäre das die Intention des Autors gewesen, wäre es in der Tat genial, wenn auch arg gut versteckt! Dazu passte ein Ankläger-Darsteller, der sich mühte, einen Preis für Emotionslosigkeit zu erringen: kein zornblitzender Augenaufschlag, keine dramatische Kunstpause, keine beschwörenden Armbewegungen, allenfalls hin und wieder ein hörbares Einatmen.Und die vermeintlichen Opferbanker, die mit ihren Aussagen vielleicht ein wenig Stimmung in die Vorführung hätten bringen können, waren vom Autor komplett von der Inszenierung ausgeschlossen und zu Statisten degradiert worden. Ihre Anwesenheit war nur noch unter dem Vorwand einer eventuellen Zeugenbefragung zu rechtfertigen. So saßen sie dann im Gerichtsflur, bestens bewacht von vier Polizisten und nur noch gefährdet, wenn einer der Zuschauer seinem Drang in Richtung Toilette nachgab und ein Sicherheitsbeamter diesen dann bis zur Tür des verschwiegenen Örtchens begleiten musste.Alles in allem also eine lausige Vorstellung. Zu lang, zu dröge, zu wenig Erotik (warum sind eigentlich alle Polizistinnen blond und tragen einen Pferdeschwanz?) und im Abgang unbefriedigend. Wenn die Staatsanwaltschaft schon auf solche Events nicht verzichten möchte, sollte sie wenigstens die Zuschauersitze besser polstern. Hans G. Möntmann

Bitte Anmelden oder Registrieren um der Konversation beizutreten.

  • Seite:
  • 1